Veränderung ist ein widerspenstiges Biest.

„Wir müssen über die Sitzordnung reden!“

… ist ein Satz, den vermutlich alle LehrerInnen kennen, die gemeinsam mit anderen eine Klasse unterrichten.

Die Sitzordnung ist mir, das muss man sagen, erst mal völlig Wurst relativ egal. Das liegt daran, dass meine SchülerInnen sowieso in jedem Sprint mit einem anderen TeamPartner arbeiten und sich dann dort hinsetzen, wo es gerade am Besten passt. Das kann auch mal auf dem Flur oder hinten auf dem Sofa sein – und ich greife nur dann ein, wenn ich den Eindruck habe, sie hindern sich gerade gegenseitig enorm an der Produktivität.

Meine Klasse hat eigene Vorstellungen

„Können wir die Tische umstellen?“

Klar können wir das. Bis jetzt sitzen die SchülerInnen in langen Reihen hintereinander. Mir gefällt die Sitzordnung auch nicht und ich kann die Klasse verstehen.

Ich lasse sie also erst mal überlegen, wie sie sitzen wollen. Gruppentische! Einer zeichnet ein Schema an die Tafel. Ich weiß jetzt schon, dass meine KollegInnen da wenig begeistert sein werden. Aber es kommt ja auf den Prozess an. Ich lasse sie also erst mal überlegen, wie sie das argumentieren möchten.

Was sind die Vor- und Nachteile? 

Wir machen eine Liste. Mögliche Vorteile von Gruppentischen – und die Nachteile, aus der Sicht aller betroffenen Parteien. Sie argumentieren, versuchen sich in die anderen Lehrer hineinzudenken. Was würde Herr X dazu sagen? Und Frau Y? Wem wäre es egal, wer wird sich vehement dagegen wehren?

Am Ende haben sie eine beeindruckende Liste zusammengestellt. Besonders spannend finde ich, dass das Argument „Integration der neuen MitschülerInnen, die noch nicht so gut Deutsch können“ als stärkster Pluspunkt herausgefiltert wird.

Dann wird demokratisch abgestimmt. Mit großer Mehrheit gewinnt die Variante „Gruppentische“ vor „Einzeltische“, die Bankreihen behalten möchte niemand.

Veränderung? Nicht mit uns!

Eine Woche später ist alles beim Alten. Meine Klasse hat es nicht geschafft, die „Stakeholder“ zu überzeugen – die KollegInnen möchten lieber selbst bestimmen, wer wo sitzt. Auf die Idee, die Klasse in den Prozess einzubeziehen, kommt niemand. Dauert auch zu lang und gegen das Ergebnis ist man sowieso, das weiß man doch schon vorher.

… und warum es sich trotzdem gelohnt hat.

Meine Klasse hat dennoch etwas gelernt. Sie haben erfahren, wie es ist, wenn Vorschläge nicht direkt abgeschmettert werden, sondern sie Zeit haben, Argumente zu sammeln und selbst zu überlegen. Sie haben die Verantwortung übernommen und sind vom emotionalen „Wollen“ zum rationalen „Überzeugen“ gelangt.

Sie haben auch gelernt, dass die Argumente noch so gut sein können: Es wird immer Vorgesetzte geben, die anderer Meinung sind und diese auch durchsetzen. Und sie haben gelernt, dass gute Argumente allein nicht ausreichen, dass es auch auf die konkrete Umsetzung einer Idee ankommt (der „Outcome“ muss stimmen!).

Agil macht Arbeit – und ist trotzdem effektiver

Klar ist es einfacher, als LehrerIn alles selbst zu bestimmen, allein zu entscheiden oder Prozesse der Mitbestimmung nur pro forma durchzuführen. Wenn Veränderung zum Konzept gehört, muss für diese Prozesse Zeit und Raum geschaffen werden. Und wir haben doch so einen knappen Zeitplan!

Wenn ich agil mit meiner Klasse arbeite, bewegen wir uns nach dem Prinzip BUILD – MEASURE – LEARN. Wir setzen etwas um, beobachten die Effekte und ziehen unsere Schlüsse daraus.

Vielleicht hätten wir nach 2 Wochen festgestellt, dass die Klasse an Gruppentischen gar nicht so gut arbeiten kann, wie sie selbst gedacht hatten. Dass Wunsch und Wirklichkeit oft weiter auseinander liegen, als man meint. Dann hätten wir die Konsequenzen gezogen: Welche Sitzordnung bringt (vielleicht) bessere Ergebnisse und erfüllt unsere Bedürfnisse dennoch?

Man muss Fehler machen dürfen, um daraus zu lernen. Und: Was man selbst entschieden hat, setzt man motivierter um. Den Jugendlichen für diese Entwicklung Raum zu geben, das betrachte ich als meine Aufgabe genauso wie die Vermittlung des Kernlehrplans Klasse 9 für Hauptschulen.

Sag es weiter!

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